Ich wurde gestern gefragt, warum die Grüne Ratsfraktion das Expertenvotum zur Einrichtung einer Oberschule nicht akzeptiere. Die „Expertengruppe“ (im Wesentlichen bestehend aus Verdener Haupt- und Realschullehrern) hat sicher fleißig gearbeitet, hat mehrere auswärtige Oberschulen und Gesamtschulen besucht und externe Fachleute befragt. Am Ende hat sie festgestellt, dass die Leitziele (erarbeitet von einer Steuerungsgruppe und beschlossen vom Rat) für eine neue Schule sowohl mit der Oberschule als auch mit der Gesamtschule erreicht werden können. Dann sollte die Gruppe auf Wunsch der Steuerungsgruppe in kurzer Zeit noch ein Votum mit einer Empfehlung abgeben – und votierte mehrheitlich für „Oberschule“. An dieser Stelle hätten wir eine an den beschlossenen Leitzielen abgeleitete nachvollziehbare Abwägung erwartet, die Ratsmitgliedern die schwierige Entscheidung erleichtert. Wir haben als Grüne Ratsfraktion mit unserem Ortsverband die von der „Expertengruppe“ vorgelegte Vergleichstabelle durchgearbeitet (mit dabei: Lehrer*innen von fünf verschiedenen Schulformen, darunter drei (ehemalige) (stellvertretene) Schulleiter), haben sie mit Erlassen und Gesetzen verglichen. Wir haben dabei feststellen müssen, dass manche der für die Oberschule ins Feld geführten Argumente schlicht nicht stimmen oder für beide Schulformen identisch sind: Z.B. sind die Möglichkeiten zur Berufsvorbereitung an beiden Schulformen gleich. Wir hätten auch gerne gelesen, warum sich derzeit viele Oberschulen in Niedersachsen in Gesamtschulen umwandeln. Insbesondere vermissen wir die Einbeziehung des Leitzieles Nr. 3 „Sie ist eine Schule, in der alle Kinder möglichst lange gemeinsam lernen“. Das entspräche der modernen Pädagogik und dem Gedanken der Inklusion. Eine Oberschule ist aber nur für Haupt- und Realschüler bestimmt, in einer Gesamtschule hätten auch Kinder mit gymnasialen Fähigkeiten Zugang. Dass es in Verden genügend Kinder mit gymnasialen Fähigkeiten gibt, sieht man daran, dass die beiden Gymnasien an ihre räumliche Belastungsgrenze stoßen.
Am Verfahren stört uns, dass diese wichtige Ratsentscheidung kaum diskutiert wird und sich andere Fraktionen offenbar schon vorher festgelegt haben. Wir sind als Politiker*innen nicht gewählt worden, um unseren eigenen Sachverstand und unser Urteilsvermögen an der Garderobe abzugeben, nur weil es eine Expertengruppe gibt. Das gibt es bei anderen Entscheidungen auch nicht, wenn manche Ratsmitglieder Vorlagen und auch externe Gutachten zerpflücken und in Frage stellen. So hätten wir gerne erörtert, welche Erkenntnisse die Expertengruppe aus Gesprächen mit auswärtigen Fachleuten gewonnen hat – und wir hätten gern selbst externe Bildungsexperten gehört, wie dies eigentlich vorgesehen war. Auch hätten wir gerne gewusst, wie sich die neue Schule in die Verdener Schullandschaft einfügt. Dazu wären Gespräche mit den Gymnasien und den Berufsbildenden Schulen notwendig.
Zugegeben: Wir haben uns schon in unserem Wahlprogramm für eine IGS eingesetzt. Die intensive Beschäftigung mit den einstimmig beschlossenen Leitzielen hat uns aber umso mehr überzeugt, dass die Gesamtschule die „bessere“ Schulform ist. Und die Schulform ist dabei mehr als nur ein „Etikett“. Die Struktur prägt die Pädagogik mit: Es macht einen Unterschied, ob sich Schüler*innen in ihrem Tempo bis hin zur Gymnasialreife an einer Schule entwickeln können (und dabei auch von Gymnasiallehrern unterrichtet werden), ob Schüler*innen verschiedener Herkunft und Begabungs- und Reifegrade an einer Schule voneinander und miteinander lernen können. Eine Integrierte Gesamtschule ist eine „Schule für alle“, nicht nur für einen Rest von 40% der Kinder. In ihr wird wirklich pädagogisch innovativ gearbeitet, denn sie ist nicht nur eine Zusammenlegung der bestehenden Haupt- und Realschule zur Oberschule. Alle Schüler*innen werden individuell so gefördert, dass es kein Sitzenbleiben gibt. In Verden hätten wir die Chance auf eine solche wirklich „neue Schule“, wie sie auch in den Leitzielen angestrebt wird. Die Verdener Schülerinnen und Schüler hätten sie verdient.
Werner Meincke, Ratsfraktion Bündnis90 /Die Grünen