Hasskommentare und Hassreden (sogenanntes Hate Speech) sind im Internet allgegenwärtig.
Verdener Gespräch mit Frank-Peter Seemann
Die Landesanstalt für Medien in NRW hat Studien zu diesem Thema durchgeführt und im Abschlussbericht das Ergebnis der Online-Befragung des beauftragten Meinungsforschungsinstituts Forsa aus dem Jahr 2018 dargestellt, wonach die überwiegende Mehrheit der Befragten (78 %) angegeben haben, mindestens einmal eine Hassrede bzw. einen Hasskommentar gesehen zu haben, z.B. auf Webseiten, in Blogs, in Internetforen oder in sozialen Netzwerken.
In einem sozialen Netzwerk, nämlich Facebook, wurde im Jahre 2015 die grüne Bundestagsabgeordnete Renate Künast von 22 unbekannten Nutzern (sog. Usern) beschimpft und zwar als „Pädophilen-Trulla“, „Stück Scheisse“, „Drecks Fotze“, und „Geisteskranke“. Andere Bezeichnungen waren noch drastischer, auch weitere sexistische Posts waren darunter zu finden. Hintergrund ist ein Zwischenruf von Künast aus dem Jahr 1986 im Berliner Abgeordnetenhaus im Zusammenhang mit der damaligen Pädophilie-Debatte bei den Grünen.
Der Zwischenruf von 1986 wurde 2015 erneut Thema. In einem Artikel der „Welt am Sonntag“ vom Mai 2015 wurde der Zwischenruf zitiert. Demnach sprach eine grüne Abgeordnete im Berliner Landesparlament 1986 über häusliche Gewalt. Ein CDU-Abgeordneter stellte die Zwischenfrage, wie die Rednerin zu einem Beschluss der Grünen in Nordrhein-Westfalen stehe, die Strafandrohung wegen sexuellen Handlungen an Kindern solle aufgehoben werden. Künast rief dazwischen: „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist!“ Bereits die „Welt am Sonntag“ stellte die Frage: „Klingt das nicht, als wäre Sex mit Kindern ohne Gewalt okay?“ Künast hatte das als Missverständnis zurückgewiesen und nur die falsche Wiedergabe des Beschlusses der NRW-Grünen richtigstellen wollen.
Ein rechter Netzaktivist nahm in einem mittlerweile gelöschten Beitrag Bezug auf den Zwischenruf und postete diesen mit einer eigenen Ergänzung: „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist Sex mit Kindern doch ganz ok. Ist mal gut jetzt.“
Die weiteren Kommentare mit den Beschimpfungen posteten die 22 unbekannten User auf die Seite des rechten Netzaktivisten.
Das Landgericht Berlin sieht diese Beschimpfungen im Kontext einer Sachauseinandersetzung nicht als Beleidigungen und hat die Klage nach dem Telemediengesetz gegen Facebook per Beschluss vom 19.09.2019 – Az.: 27 AR 17/19 – abgewiesen, so dass eine Pflicht zur Herausgabe personenbezogener Daten der 22 Nutzer nicht besteht und Renate Künast so erst einmal keine Möglichkeit hat, zivilrechtliche Schritte gegen die unbekannten Nutzer einzuleiten.
Bloße Meinungsäußerungen haben ihre Grenze zur sogenannten Schmähkritik, die unter die Gürtellinie zielt.
Anders als vom Berliner Landgericht angenommen, sind die Kommentare der 22 unbekannten Nutzer nicht grenzwertig oder hart an der Grenze. Nein, hier ist die Grenze zur strafbaren Schmähkritik überschritten und zu diesem Ergebnis wird – nach meiner Einschätzung – auch das nächsthöhere Gericht in der Rechtsmittelinstanz kommen.
Das verfassungsrechtlich geschützte, aber nicht grenzenlose Grundrecht der Meinungsfreiheit ist wesentlicher Bestandteil unserer Freiheitlich demokratischen Grundordnung.
Um den ehemaligen Bundesverfassungsrichter, Udo di Fabio, zu zitieren: „Anstand ist das Lebenselixier der Demokratie“.
Dieser Anstand ist auf allen politischen Ebenen zu fordern und zwar gegenüber den gewählten haupt- und auch ehrenamtlichen Mandatsträgern, sonst werden Gewaltaktionen, wie z.B. zum Nachteil von Rüdiger Butte, Walter Lübcke, Henriette Reker etc. keine Ausnahmen bleiben und unsere Demokratie auf Dauer ernsthaften Schaden nehmen.