Grüne diskutieren Konzepte für ökologisches und soziales Wohnen
Verden. Um Häuser ging es bei einer Diskussionsveranstaltung der Verdener Grünen am Mittwochabend im Liekedeeler. Mit der Lüneburger Bundestagskandiaten Julia Verlinden und dem Hannoveraner Landtagsabgeordneten Thomas Schremmer hatte der Grüne Ortsverband zwei ausgewiesene Fachpolitiker eingeladen, um zu diskutieren, wie einerseits die große Herausforderung der energetischen Gebäudesanierung gemeistert, andererseits aber Mieten bezahlbar bleiben und Wohnraummangel entgegengewirkt werden kann: Vor der Veranstaltung nutzen die beiden Politiker/innen die Gelegenheit, sich über das Norddeutsche Zentrum für Nachhaltiges Bauen zu informieren.
Grünen-Ratsherr Rasmus Grobe, der die Veranstaltung moderierte, machte in seiner Einleitung deutlich, worum es geht: „Auf den Gebäudebereich entfällt etwa ein Drittel der CO2-Emissionen und die Sanierungsquote ist noch viel zu niedrig. Gleichzeitig ist in manchen Städten Wohnen kaum noch bezahlbar – wie schaffen wir gleichzeitig die energetische und soziale Wende im Gebäudebereich?“
Julia Verlinden, die bis jetzt das Referat Energieeffizienz im Umweltbundesamt leitete, versuchte zunächst deutlich zu machen, wie bedeutsam der Gebäudebereich für die Energiewende ist: „Ohne Energieeinsparung im Gebäudebereich bleibt die Energiewende eine Stromwende,“ so Verlinden und illustrierte dies mit Zahlen: 27% des Energieverbrauchs in Deutschland entfielen auf die privaten Haushalte – davon seien 71% auf Heizung zurück zu führen. Hier gebe es ein großes Klimaschutzpotential durch Dämmung, moderne Heiz- und Lüftungstechnik, verändertes NutzerInnenverhalten und den Einsatz Erneuerbare Energien – die aber nur sinnvoll kombiniert eine ausreichende Wirkung entfalten würden. Im privaten aber auch gewerblichen und öffentlichen Bereich seien daher Gesamtkonzepte zentral, was aber in der Praxis noch immer zu wenig praktiziert werde. Am einzelnen Gebäude ließe sich so bis zu 80% Energie einsparen. Tatsächlich sei die Sanierungsquote mit 0,7% aber derzeit noch viel zu niedrig und ein weiterer Grund, weshalb die derzeitige Bundesregierung ihre selbst gesetzten Klimaschutzziele zu verfehlen drohe. Als Ursache nannte Verlinden, dass die politische Richtungsbestimmung viel zu unklar sei, sowohl auf konzeptioneller Ebene, wie auch bei den sich häufig verändernden Anzeizssystemen, vor allem bei der finanziellen Förderung. Die Deutsche Energieagentur warne daher bereits vor einem Einbruch des Sanierungsmarktes.
Verlinden stellte demgegenüber Grüne Forderungen und Vorschläge für eine Energiewende im Gebäudebereich vor: Mittelfristig müsse der Passivhausstandard für Neubau Pflicht werden, der eindeutige Schwerpunkt der Politik müsse aber bei Bestandsgebäuden liegen; das Vollzugsdefizit bei der Energieeinsparverordnung, die in Kürze verschärft werde, müsse dringend behoben werden. Über einen Energiesparfonds, der aus dem Abbau klimaschädlicher Subventionen gegenfinanziert werde, sollten Beratung, Energieausweise für alle Gebäude, energetische Sanierung von Wohnquartieren einkommensschwacher Haushalte, Sanierung öffentlicher Gebäude und ein Klimawohngeld finanziert werden.
Abschließend betonte Verlinden, dass Gebäudeenergie mittelfristig auch zum sozialen Gerechtigkeitsthema werde, wenn sich Menschen in unsanierten Gebäuden bei steigenden Energiepreisen das Heizen einfach nicht mehr leisten könnten – und leitete damit zu Thomas Schremmer über.
Dieser machte in seinem Statement zunächst deutlich, wie der Demografische Wandel Niedersachen verändert: während manche Regionen, wie Südniedersachsen, zum Teil dramatisch an Einwohnern verlieren, gäbe es in anderen Gegenden, vor allen den Oberzentren, absehbar weiter Bevölkerungswachstum. Dies sei aber nur eine Ursache für die Mietpreissteigerungen und Wohnungsknappheit in diesen Städten – Immobilienspekulationen im Rahmen der Finanzkrise, der unterbliebene soziale Wohnungsbau und eine Abnahme der Belegbindungen, die Wohnungsprivatisierung öffentlicher Bestände, die insgesamt abnehmende und einseitig ausgerichtete Wohnungsbautätigkeit mit Fokus auf Eigenheim und Luxusbau, unzureichende Regelungen im Mietrecht (wie das Fehlen einer Preisbremse) seien weitere Gründe.
Die Grünen hätten eine Reihe von Vorschlägen, wie diesen Misständen entgegen gewirkt werden könne: Dabei komme einem Sozialen Mietrecht – insbesondere in Gebieten mit Wohnraummangel – eine besondere Bedeutung zu. So solle die Mietobergrenze bei Wiedervermietung auf maximal 10% > Vergleichsmiete begrenzt, die Kappungsgrenze bei Mieterhöhungen gesenkt und der Mietspiegelvergleichszeitraum auf 10 Jahre verbreitert werden; schließlich sollten Modernisierungsmittel nur zu 9% angerechnet werden.
Ein anderes wichtiges Projekt der Grünen sei aber auch die Förderung des Sozialen Wohnens, zum Beispiel durch ein wirksames Erhaltungsrecht für Wohnraum, eine Anpassung des Wohngeldgesetzes durch einen „Klimazuschuss“, die Bestandserneuerung als einen Förderschwerpunkt und die Förderung gemeinwohlorientierter Wohnprojekte, wie Genossenschaften.
Schremmer ergänzte, dass die neue rot-grüne Landesregierung sich eine Reihe von Projekten vorgenommen habe, die in diese Richtung gingen: die Ausrichtung der Sozialen Wohnraumförderung am Bedarf, also die Konzentration auf bezahlbaren Wohnraum und die Bestandssanierung im Hinblick auf altersgerechte, barrierefreie und energetische Modernisierung; eine Priorität für genossenschaftlicher Wohnungsbau, eine wirksame Wohnungsaufsicht und „Inklusive Sozialräume“, Wohnen im Alter, selbständiges Wohnen im Quartier (Pflege etc.). Allerdings stelle sich bei einigen dieser Vorhaben die Finanzierungsfrage. „Ohne eine andere Steuerpolitik im Bund wird’s schwer,“ so Schremmer. Man müsse daher umso mehr um Schwerpunktsetzungen und das Zusammenwirken verschiedener Ebenen und Instrumente nachdenken.
In der anschließenden Diskussion, die von Rasmus Grobe moderiert wurde und an der sich auch der Verdener Bundestagskandidat Erich von Hofe intensiv beteiligte, wurde deutlich, dass energetische Sanierung und bezahlbares Wohnen kein Widerspruch sind, wenn sie auch politisch zusammen gedacht werden. Insbesondere Ansätze für gemeinschaftliches Wohnen, aber auch Ideen zu Beteiligung von Bürger/innen bei der Realisierung von sozial-ökologischen Projekten fanden in mehreren Diskussionsbeiträgen Resonanz.
Vor der Veranstaltung hatten Julia Verlinden und Thomas Schremmer die Gelegenheit genutzt, sich über das Norddeutsche Zentrum für Nachhaltiges Bauen zu informieren. Bei der Baustellenführung durch Thomas Architekt Thomas Isselhard, NZNB-Geschäftsführer Christian Silberhorn und Rasmus Grobe ging es inhaltlich auch um die wachsende Bedeutung der„Grauen Energie“ in Gebäuden und die Vorteile die das Bauen mit nachwachsenden Rohstoffen diesbezüglich bietet, sowie die wachsende Bedeutung explizit ökologischen Bauens. Die Landesregierung hat die Prüfung von Förderinstrumenten in diesem Bereich in den Koalitionsvertrag aufgenommen.