Verdener Nachrichten vom 20.08.09:
Verden. Mit den Stimmen von CDU, SPD und FDP hat der Stadtrat am Dienstagabend die Umbenennung der Agnes-Miegel-Straße abgelehnt. Etliche Anwohner quittierten die Entscheidung mit Applaus. Von der Zuhörertribüne aus erlebten sie eine Debatte, die kurzzeitig aus dem Ruder zu laufen drohte.
Die kleine Sackgasse im Dichterviertel heißt auch künftig „Agnes-Miegel-Straße“.
Die Grünen hatten – wie mehrfach berichtet – die Umbenennung beantragt, weil sie Agnes Miegel (1879-1964) wegen ihrer Nähe zum Nationalsozialismus und ihrer ausgesprochenen Hitler-Verehrung als Namensgeberin für untauglich halten. Sie forderten deshalb, die kleine Sackgasse im Dichterviertel am Brunnenweg nach der von den Nazis verfolgten Schriftstellerin Irmgard Keun (1910-1982) zu benennen.
An Miegels Nazi-Vergangenheit gab es im Rat keinen Zweifel. Es sei festzustellen, heißt es in der Beschlussvorlage, auf die sich CDU und SPD ausdrücklich beriefen, „dass Agnes Miegel eine deutliche Nähe zur NSDAP zeigte“. Nach der Befreiung vom Faschismus habe sie keine Reue gezeigt und sie sei auch nicht aktiv für die deutsche Demokratie eingetreten. „Aus heutiger Sicht sollte Agnes Miegel nicht mit einem Straßennamen geehrt werden.“
Namensgebung entstammt einem unkritischen Zeitgeist
1961 habe sich der damalige Rat für Agnes Miegel entschieden, um in dem neuen Stadtteil mit Straßennamen von Literaten auch eine ostpreußische Dichterin zu berücksichtigen und um die Verbundenheit mit Flüchtlingen und Vertriebenen zu zeigen, so die Beschlussvorlage. Die politische Einstellung und die Nazi-Nähe von Agnes Miegel seien damals nicht hinterfragt worden. Somit zeige diese Namensgebung beispielhaft den heute unvorstellbar unkritischen Zeitgeist, der Anfang der 1960er Jahre geherrscht habe.
Ablehnung der Anwohner
Die Anwohner hätten eine Umbenennung weitgehend mit Hinweis auf die zahlreichen organisatorischen und finanziellen Lasten abgelehnt. Sie sei auch nicht zwingend und gegen den Willen der betroffenen Anwohner nicht notwendig.
In der Stadt Verden gebe es zahlreiche Straßennamen von Personen, die nicht aktiv für die Demokratie eingetreten seien, vielleicht auch mehrere Fälle von Personen, die eine unkritische Nazi-Nähe gezeigt hätten. In diesem Fall sei „die Wohnstraße eine Sackgasse ohne jede weitere Verkehrsbedeutung, deren Lage und Existenz bis zur Antragstellung kaum bekannt war“.
Anstelle einer eher symbolischen Straßenumbenennung sei eine aktive kommunale Erinnerungskultur und Demokratiebildung zukunftsweisend. Dazu gehörten zum Beispiel die weitere Unterstützung und Mitarbeit bei WABE, dem Weser-Aller-Bündnis: Engagiert für Demokratie und Zivilcourage. Soweit die verabschiedete Beschlussvorlage.
Hitzige Diskussion
Gesine Ahlers (Grüne) kritisierte die Begründung als sehr widersprüchlich: „Das ist ein fauler Kompromiss.“ Auf der einen Seite werde die Umbenennung abgelehnt, auf der anderen Seite stelle man sich immer wieder hin und rühme bundesweit Verdens Engagement gegen den Rechtsextremismus. Ahlers: „Hier hätten Sie ein deutliches Zeichen setzen können.“
Schärfe brachte FDP-Mann Jürgen Weidemann in die zunächst sachlich geführte Debatte, als er den Antrag der Grünen als Sommerloch-Geschichte abtat und den Anwohnern zustimmte, „dass Verden wahrhaftig andere Probleme“ habe. Martin Deter (Grüne) konterte, man habe die Umbenennung sehr ernsthaft diskutiert. Er verwahrte sich gegen den Vorwurf, das sei alles nur ein Sommertheater. CDU, SPD und FDP warf er vor, sie argumentierten „fadenscheinig und fragwürdig“. Was die angesprochenen Fraktionen umgehend zurückwiesen. Gebhardt Rosenthal (CDU): „Frau Ahlers ist eine schlechte Verliererin.“ SPD-Fraktionschefin Jutta Sodys: „Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht, wir haben extra eine Fraktionssitzung anberaumt.“
Die war offenbar nötig, denn in einer der letzten Rotdorn-Ausgaben, dem gemeinsamen Mitteilungsorgan von SPD-Stadtratsfraktion und SPD-Ortsverein, hatte es noch unter der Überschrift „Umgang mit der NS-Zeit“ geheißen, dass der Antrag der Grünen nach Ansicht der Redaktion nur so entschieden werden könne, „dass die Agnes-Miegel-Straße (…) in Irmgard-Keun-Straße umbenannt wird“.